Yeah, Ausgang!
Wenn die Temperaturen einigermassen erträglich sind, haben Maria’s Milchkühe täglich Ausgang – auch im Winter. Die Rinder im Freilaufstall und die Kälber können ja ohnehin selber raus, wenn sie wollen. Die Milchkühe hingegen müssen für ihr Vergnügen auf der Weide zunächst raus aus dem Stall, dann bei Marias Wohnhaus scharf links abbiegen, dann runter, über den Hof, an der Scheune vorbei und auf die Weide gehen.
Partytime ist jeweils in der zweiten Morgenschicht angesagt. Den Auszug aus dem Stall finde ich extrem eindrücklich – immerhin setzt sich da eine ganze Formation an wuchtigen Tieren in Gang und trottet den gewohnten Weg entlang zur Weide. Die Glocken an den Hälsen der Kühe bimmeln, die Stimmung ist aufgeregt, alle sehen sich um, ob es auf dem Weg etwas Neues zu entdecken gibt. «Ha – wer ist denn das?», scheint Flöckli zu fragen, als sie mich sieht. Fatima muht: «Ach, das ist doch die Städterin, die sich öfter bei uns im Stall zu schaffen macht.»
Als ich das erste Mal dabei war, wusste ich nicht, wie mir geschah. Die Abläufe auf Maria’s Hof sind eingespielt und die Arbeiten sind verteilt – viele Worte braucht es da nicht. Ausser, wenn eine Stallpraktikantin wie ich ihre Hilfe anbietet und Anleitung braucht. Beim ersten Ausgang-Spektakel gab es praktisch keine Ankündigung. Maria sagte nur: «So, jetzt dürfen die Kühe raus.» Sie hatte das letzte Wort noch nicht fertig ausgesprochen, als sie die Tiere schon losband. Jetzt kam Leben in die Bude. Glocken bimmelten, Hufe schlugen auf, Hörner schossen in die Höhe. «Du solltest dich langsam in Sicherheit bringen», meinte Maria trocken und schmunzelte. Schnell von Begriff stellte ich mich hinten an die Wand und beobachtete fasziniert das Spektakel. Heute warte ich jeweils draussen, bis die ganze Gesellschaft auf der Weide ist.
Dann habe ich eine einfache, aber wichtige Aufgabe. Ich muss die Kühe beobachten und sofort laut schreien, falls eine «stierig», also brünstig ist. Woran man das erkennt? Brünstige Kühe zeigen wegen der hormonellen Veränderungen körperliches Interesse an ihren Kolleginnen. Sie schnuppern dann am Hinterteil ihrer Kollegin oder steigen auf. Wenn die bestiegene Kuh stehen bleibt, ist sie «stierig» oder kurz davor. Mit ihrem Verhalten zeigt sie, dass sie sich besteigen lassen würde. Um die Brunstzeit nicht zu verpassen, muss man diese Anzeichen erkennen und notieren.
Natürlich gibt es noch andere Anzeichen, ob eine Kuh demnächst brünstig ist – auch Kühe haben einen klassischen Monatszyklus. Aber das «Stehen» ist für die Bäuerinnen bzw. die Bauern ein wichtiges Verhaltensmerkmal. Und so stehe ich dann einfach am Rand der Weide, beobachte die Kühe bei ihrem Treiben und bin schon fast enttäuscht, wenn sie es nicht treiben. Ja, so läuft das hier.