Johann’s Glockenspiel

Sorry, aber wer da keine Gänsehaut bekommt …

Jeden Samstag kurz vor elf Uhr läuten in Scheid die Glocken. Zuerst wird während rund 5 Minuten die alte Woche ausgeläutet, punkt 11.00 Uhr die Zeit angegeben und danach wird während 5 Minuten die neue Woche eingeläutet. Eine wunderschöne Tradition, die immer noch von Hand ausgeführt wird.

Johann, seit wann läutest du samstags die Glocken?

Früher musste immer abwechslungsweise eine Person aus einem Scheidner Haushalt die kleinen Glocken läuten. Das war vielen etwas zu anstrengend. Man überlegte sich, die Glocken elektronisch läuten zu lassen, so wie es heute bei praktisch allen Kirchen gemacht wird. Richard, der Hauptglöckner von Scheid, wehrte sich erfolgreich dagegen. Er wollte diese schöne Tradition unbedingt erhalten und bildete ein paar Scheidner aus. Ich hatte eben meine Lehre abgeschlossen, als er mich anfragte. Anfangs war ich etwas unsicher und nahm mir Bedenkzeit heraus. Am darauffolgenden Wochenende sagte ich zu. Während der ersten Male habe ich Richard bei diesem Amt begleitet und ihm dabei zugeschaut. Eines Tages sagte er: Das nächste Mal gehst du alleine.

Erinnerst du dich noch an das erste Mal?

Ja, ich war ziemlich aufgeregt. Zuvor hatte ich Richard gefragt, was passiert, wenn man einmal zu spät dran ist. Das sei nicht so schlimm, hat er gesagt. Bis 11.30 Uhr darf man läuten. Das hat mich beruhigt. Die ersten paar Male klang es noch nicht so, wie es sollte. Das Glockenläuten ist gar nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Am Anfang habe ich die Glocken noch nicht so gut gekannt. Die grosse Glocke bringt man über ein Seil zum Schwingen. Das braucht Kraft und gleichzeitig Fingerspitzengefühl. Wenn man zu fest daran zieht, kann sie oben durchschwingen, denn sie hat keinen Anschlag. Das ist mir ein einziges Mal passiert. Zudem muss die Glocke gleichmässig schwingen, sonst klingt es seltsam. Wenn sie nach links schwingt, ist der Weg ein bisschen länger. Zuerst muss man also die grosse Glocke richtig in Schwung bringen. Sobald die grosse Glocke bei ihrem Linksschwung erklungen ist, muss man die kleine Glocke anschlagen.

Heute hast du das Läuten perfekt im Griff. Schilderst du uns einen typischen Ablauf am Samstag?

Meistens bin ich am Samstagmorgen im Stall in Unterscheid oder im Sommer am Heuen. Gegen viertel vor elf fahre ich zur Kirche, nehme den Gehörschutz und gehe die Treppen hoch. Dann setze ich mich hin. Der Kirchturm ist auf alle vier Seiten offen. Je nach Jahreszeit kann es ziemlich unangenehm sein. Um 10.55 Uhr beginne ich die grosse Glocke zu schwingen. Bis knapp vor 11.00 Uhr schwinge ich die grosse Glocke und lasse sie ein paar Mal ausschwingen, bevor ich sie bremse. Punkt 11.00 Uhr schlage ich mit dem Haller die kleine Glocke 11 Mal. Danach warte ich ein paar Sekunden und beginne die grosse Glocke wieder anzuschwingen. Dann schwinge ich mit der rechten Hand die grosse Glocke. Sobald sie den längeren Weg hinter sich gebracht hat, schlage ich mit der kleinen Glocke. So ensteht dieses rhythmische Dang-Ding. Man muss immer im Takt bleiben und sich konzentrieren. Sonst klingt es seltsam. Nach dem Läuten gehe ich immer noch kurz zum Grab meines verstorbenen Papas. Seit Kurzem haben hier leider auch meine Tante Maria und eben Richard ihre letzte Ruhestätte gefunden. Sie besuche ich auch.

Wie oft im Jahr bist du an der Reihe?

Wir sind ein Team von 5 Glöcknern und teilen uns die Monate auf. Ich bin zwei Mal pro Jahr je einen Monat an der Reihe, also insgesamt 8 Mal. Manchmal springe ich auch ein, wenn einer der anderen Glöckner verhindert ist. Wenn am Sonntag Kirche ist, müssen wir ebenfalls läuten. Um halb zehn läutet man, damit alle wissen, dass an diesem Tag Kirche ist. Eine Viertelstunde vor Beginn der Predigt läuten wir noch einmal. Dann wissen alle Schneidner, dass sie sich auf den Weg zur Kirche machen müssen. Falls am nächsten Tag noch einmal Kirche ist, zum Beispiel an Ostern, läuten wir am Schluss der Predigt noch einmal. Bei Beerdigungen und Hochzeiten müssen die Verantwortlichen den Glöckner selber organisieren.

Deine Tage sind ausgefüllt mit Arbeit von früh bis spät. Warum führst du trotzdem immer noch dieses Amt aus?

Das Läuten bereitet mir immer noch viel Freude. Zudem gibt es dafür ein kleines Taschengeld. Es freut mich, wenn die Scheidnerinnen und Scheidner mir sagen, dass ihnen das Läuten gefallen hat. Viele erkennen am Klang, wer die Glocken läutet.

Wann hört man dich im 2022 die Scheidner Glocken läuten?

Ich bin im Mai und im August an der Reihe.

Ein guter Grund, dann nach Scheid zu kommen 🙂

 

Zum Thema: Der Glöckner von Scheid


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