Lumpi und ich – eine Hassliebe
Das ist Lumpi, mein Lieblingskalb und gleichzeitig meine grösste Herausforderung im Stall – mal abgesehen vom Mist ausleeren, wenn der Misthaufen zu hoch ist. Denn wenn der Misthaufen hoch ist, müsste ich rein theoretisch die volle Schubkarre über ein wackliges Brett auf den Berg nach oben schieben, was allein aus physikalischen Gründen (Schwerkraft!) unnatürlich ist. Dort angekommen, müsste ich den schweren Mist dann auch noch irgendwie ausleeren. Fail! Das schaff‘ ich beim besten Willen nicht. Übrigens mag ich’s auch nicht, wenn die Mistgrube praktisch leer ist und ich den Mist 3 bis 4 Meter in die Tiefe hinunterfallen lassen muss. In meiner blühenden Fantasie sehe ich mich jeweils samt Schubkarre und mitsamt dem ganzen Mist in die Grube fliegen (Schwerkraft). Also die perfekte Miststock-Höhe für mich ist etwas tiefer als ebenerdig. Aber eigentlich möchtest du ja etwas über Lumpi erfahren.
Lumpi mag mich sehr, glaube ich. Nein, ich spüre das. Und ich mag ihn. Manchmal. Am liebsten dann, wenn ich ausserhalb des Gatters stehe. Dann haben wir eine tiefe Verbindung zueinander. Dann können wir über alles miteinander reden. Doch kaum setze ich einen bestiefelten Fuss ins Gehege (und das muss ich ja zum Ausmisten), verändert sich unsere Beziehung. Dann wird Lumpi zum Stalker, zum Schupser, zum wilden Stier, der in ihm schlummert. Er verfolgt mich auf Schritt und Tritt, rammt mir seine kleinen Hörner in den Oberschenkel und denkt sich, dass ich das toll fände. Ha!
Im Gehege sind 9 Kälber untergebracht. Die Aufgabe wäre schon happig genug, sich zwischen die Tiere zu zwängen und das nasse Stroh auszumisten. Doch da ist ja noch Lumpi. Wir stehen einander gegenüber. Mache ich einen Schritt nach links, macht er einen nach rechts und umgekehrt. An Lumpi ist kein Vorbeikommen. Fieberhaft überlege ich mir eine Strategie. Doch in solchen Momenten helfen weder logische Argumente, noch liebevoll gesäuselte Worte, noch scharfe Töne, noch Streicheleinheiten. Lumpi will spielen. Er kann ja so stur sein. Inzwischen graut mir schon vor dem Moment, wenn ich ins Jungstiergehege gehe. So weit sind wir schon gekommen.
Kürzlich lag Lumpi tief schlafend hinten an der Wand, als ich reinkam. Ich atmete erleichtert auf. Doch zu früh gefreut. Kaum stellte ich mich an, ganz leise das Tor aufzumachen, öffnete Lumpi die Augen, blähte seine Nüstern auf, kam auf mich zu und liess lüsternd seine Zunge ausfahren. Es ist übrigens faszinierend, wie beweglich seine Zunge ist. Lumpi kann sie richtiggehend zu einer Spirale drehen. Ich streckte ihm meine Hand hin. Vertrauensvoll schleckte er sie ab. Ich war gerührt. Er hatte mich schon wieder um den Finger gewickelt. „Komm Lumpi, geh zur Seite“, sagte ich. Er machte keinen Wank. Okay, das Spiel ging wieder von vorne los. Dabei muss ich ernsthaft auf der Hut sein. Denn mit seiner Kraft und seinem Gewicht (vermutlich gegen 200 kg) könnte Lumpi mich gröber in Bedrängis bringen. Ich hätte keine Chance. Noch vor wenigen Wochen hätte ich mir solche Gedanken nicht machen müssen. Dann sah Lumpi nämlich noch so aus:
Ein Unschuldskalb mit Jööö-Effekt, einfach zum Knuddeln. Schon damals schienen wir zarte Bande geknüpft zu haben. Denn es war ausgerechnet Lumpi, den ich vor die Linse genommen hatte – immerhin hat Maria 17 Kälber. Die Geister, die ich rief …
„Du musst ihm zeigen, wer die Meisterin ist“, rät mir Maria und lehrt mich, ihm einen Schlag auf die Nase zu verpassen, wenn er mich wieder anstupst. Ooookay. Lumpi senkt schon wieder den Kopf und schupst mich. Autsch. Zaghaft versetze ich ihm einen Schlag auf die Nase. Eine Reaktion bleibt aus. Vermutlich hat er meinen Schlag als Zärtlichkeit empfunden. Er doppelt nach, stupst intensiver, lässt mir kaum einen halben Meter Platz, um meine Arbeit zu verrichten. Der nächste Schlag fällt etwas stärker aus. Mein Herz blutet. Lumpi scheint zu begreifen und wendet sich ab. Schon bedaure ich es, ihm eine verpasst zu haben. Vielleicht mag er mich jetzt nicht mehr? Papperlapapp. Schon kommt er wieder auf mich zu und ich meine ein schelmisches Schmunzeln in seinem Blick zu erkennen. Der nächste Schups. Lumpi, Nein! Doch der Schelm folgt nicht. Lumpi – nomen est omen. Abermals versetze ich ihm einen Nasenstäuber, erledige schnell meine Arbeit und bringe mich in Sicherheit. Vor dem Gehege bleibe ich stehen. Lumpi zwängt seinen Kopf durch das Gatter und schaut mich liebevoll an. Ich entschuldige mich bei ihm und lasse ihn meine Hand abschlecken. Irgendwie ist er halt doch süss – vor allem aus sicherer Entfernung. Mir ist klar, dass sich das Nähe-Distanz-Spiel auch beim nächsten Mal wiederholen wird. Seufz.