Gring abe u räche
Einige Unterländer können es ja nicht verstehen, weshalb ich mich freiwillig zum Heuen an steilsten Berghängen melde. Diese Skepsis teile ich nicht. Oder nicht immer. Zugegeben, da ist jedes Mal dieser eine Moment, in dem ich mich frage, was ich hier eigentlich mache. Zum Beispiel bei gefühlt 40° am steilsten Hang, wenn die Sonne gnadenlos runterbrennt und ich mich Rechenlänge für Rechenlänge hocharbeiten muss. Dann, aber nur dann, denke ich daran, wie schön es jetzt wäre, am See zu liegen, ein Buch zu lesen und zwischendurch ins kühle Nass zu springen. Mittags, beim gemeinsamen Essen in Ursali’s Küche oder abends, wenn das Fuder im Trockenen ist, überwiegen dann allerdings die positiven Gefühle.
Sicher, die Arbeit ist saumässig streng und der Schweiss läuft in kleinen Bächlein den Rücken runter. Die Trinkflaschen sind schneller leer als die Maden gerichtet und die Bremen machen Jagd auf jede Antibrumm-freie Körperstelle. Aber die Arbeit in dieser fantastischen Bergwelt und das Miteinander tun einfach gut. Zudem scheint es mir viel sinnvoller, den Körper bei dieser Arbeit an seine Grenzen zu bringen als in einem stickigen Fitnessstudio (ohne dabei jemandem zu nahe treten zu wollen). Auch freue ich mich mehr über meine Bräune vom Heuen als vom früheren Aalen an überfüllten Stränden.
Aus den Fehlern der letzten Saison habe ich gelernt. Blasen in der Mulde zwischen Daumen und Zeigefinger? Dieses Jahr nicht. Muskelkater? Nein, dafür beuge ich mit Pferdesalbe vor (echt wahr). Sonnenbrand? Fehlanzeige. Durst? Sicher nicht. Immer genügend zu trinken dabei. Trotzdem. Manchmal seufze ich, wenn ich die Hänge hoch schaue, in der Annahme ich hätte schon einen Grossteil des mir zugewiesenen Stücks bewältigt und feststelle, dass dem nicht so ist. In diesen schwachen Momenten denke ich einfach daran, wofür ich das tue. Jeder Halm ist eine Gaumenfreude für eine Kuh oder ein Kälbchen. „Gring abe u räche“, kommt mir in den Sinn.
Und die Belohnung folgt auf jeden Rechenzug. Was für ein erhabenes Gefühl, wenn aus dem gemähten und getrockneten Gras lange Maden entstehen, die sich den Hang emporhangeln, wenn sich ein Muli nach dem anderen füllt und auch beim Nachrechen stattliche Portionen Futter zusammenkommen. Oder wenn Maria schätzt, dass die Maden 25 Heuballen ergeben und es letztlich 29 sind.
Das Heuballen machen (ob’s dafür eine elegantere Bezeichnung gibt? mbö) an diesen steilen Hängen ist übrigens eine Kunst für sich. Da lässt Maria nur Diego ran. Ein junger Mann, der mit dem Traktor umzugehen weiss wie kein anderer. Trotzdem kann ich nicht hinsehen. Bei meinem Verständnis von Physik müsste der Traktor seitlich kippen oder rückwärts den Hang runterrollen. Fast wie bei den Trapeznummern im Zirkus halte ich den Atem an, kneife die Augen zu und schaue erst hin, wenn ich die Heuballe zu Boden fallen höre. Dann kann ich aufatmen. Am liebsten würde ich Diego zu seinem Kunststück applaudieren, aber das wäre dann wohl etwas fehl am Platz.
Dieses Jahr habe ich schon viel öfter geholfen als letztes Jahr. Ich bin in einen richtigen Heu-Rausch geraten. Fast war ich enttäuscht, als ich nach einem kurzen Abstecher ins Unterland erfuhr, dass für diese Woche alles fertig geheut ist. What? Und was mache ich jetzt? Keine Sorge, hier oben wird’s mir nie langeweilig. Trotz allem sind meine tageweisen Einsätze natürlich nichts gegen die Arbeit von Maria, Johann und der anderen Bergbauern. Während ich zwischendurch ins Unterland fahre und am ventilator-belüfteten Pult Sätze in die Tastatur haue, sind sie tagtäglich am Heuen. Ohne Murren, ohne Spätschichtzulage, ohne Ferien. Dafür zolle ich allen hier oben den grössten Respekt (und einen heimlichen Applaus am Bürotisch gibt’s jetzt halt trotzdem. Sieht ja eh keine*r).
Der Blog vom letzten Jahr zum gleichen Thema: Blasen oder Handarbeit?
Heldenhaft!
Oh, vielen Dank