17
Feb
2022
55

Ach, Lumpi!

Kürzlich durfte ich die Kälber, also die Jungstiere, bürsten und striegeln. Zur Erinnerung: Die 10 stämmigen Tiere halten sich auf relativ engem Raum auf – und ich bin mittendrin. Angst zu haben wäre fatal. Aber eine gute Portion Respekt braucht es schon. Für die Schönheitsbehandlung werden die Jungstiere während dem Fressen im Gatter fixiert.

So stehen sie dann Rücken an Rücken und ich zwänge mich zwischen die warmen Leiber, um meine Arbeit zu verrichten. Zu meinem grossen Erstaunen mögen sie die Prozedur. Mehr noch: Sie geniessen es geradezu. Lumpi (Blog: Lumpi und ich – eine Hassliebe) gehörte an diesem Tag nicht zu den Auserwählten. Sichtlich beleidigt legte er sich hin und würdigte mich keines Blickes. «Oha», dachte ich, «ist da etwa jemand eifersüchtig?» Sofort verwarf ich diesen Gedanken. Wie peinlich, menschliche Gefühlsregungen auf Tiere zu übertragen. Mit Inbrunst striegelte und bürstete ich die wuchtigen Rücken, bis sie glänzten. Das Resultat liess sich sehen – auch Maria nickte anerkennend.


Das anschliessende Ausmisten gestaltete sich ausnahmsweise etwas stressfreier als sonst. Die inzwischen wieder freigelassenen Stiere liessen mich mehr oder weniger schalten und walten. Vor allem blieb eine Störfaktor aus: Lumpi. Kein Stupsen, kein Schupsen, kein Schieben, kein Schnappen, kein Nichts. Er tat so, als gäbe es mich nicht. Obwohl mir sein aufdringliches Getue sonst den letzten Nerv raubt: Sein demonstratives Desinteresse schmerzte fast mehr als seine Hörner in meinem Oberschenkel. Abends vergoss ich bittere Tränen ins Kissen (sorry, die Werbetexterin in mir übertreibt mal wieder masslos. Aber ein bisschen Drama darf sein.).

Wenige Tage später durfte ich die jungen Herren erneut verschönern. Wieder entzückten sechs breite Rücken. Ich nahm mir den ersten vor und hielt nach wenigen Bürstenstrichen inne. Einer plötzlichen Eingebung folgend sah ich mir den zum Rücken gehörenden Grind an. Jaaaa, Jupidu und Holderio, es war nicht irgendein Rücken, sondern Lumpis Rücken. Mein Herz hüpfte vor Freude, meine Augen glänzten vor Rührung (naja, siehe oben). Ausgiebiger als bei den anderen bürstete ich sein Fell, liebevoller tätschelte ich seine Flanke, schmeichelnder lobte ich seine Geduld.

Doch die Freude war von kurzer Dauer. Beim anschliessenden Ausmisten offenbarten sich wieder die komplexen Probleme unserer belasteten Beziehung. Lumpi hatte meine Streicheleinheiten falsch interpretiert. Noch wilder als sonst drängte er, schupste, verfolgte mich vom einen Ende des Geheges zum anderen, rieb seine Stirn an meinem Arm, schleckte genüsslich meinen Jackenärmel und bohrte seine kleinen Hörner in meine Oberschenkel (an die blauen Flecken habe ich mich schon fast gewöhnt).

Ach, Lumpi, unsere Hassliebe geht in die nächste Runde.

PS 1. Trotzdem graut mir vor dem Tag X …
PS 2. Mal ehrlich: Ist er nicht wahnsinnig süss? Eben!

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